23 November 2025
Ein Auf und Ab im wahrsten Sinne des Wortes, körperlich und mental - Isa´s TAR-Resumee!
Und am Ende kam alles anders...
Bereits bei der Anfahrt nach Lech am Arlberg wurde klar: Sandra hat ein paar medizinische Probleme und alle fallen in einen Fachbereich von dem ich nichts verstehe. Ein ausgerenktes Ischiosakralgelenk (wo war das doch gleich nochmal? Ich bin wirklich zu viel mit dem Herzen beschäftigt) und ein erneutes Aufflammen der Multiplen Sklerose (Auch das Hirn ist sehr weit weg vom Herzen) machten schon das normale Gehen und Autofahren zu einer Herausforderung. Würde sie der Herausforderung gewachsen sein und würde ich ihr überhaupt irgendwie helfen können?
Die Begrüßung vor Ort war umwerfend. Ein top organisiertes Event mit einem super freundlichen Empfangs-Komitee ließ wirklich keine Wünsche offen. Wenn da nicht ein kleiner Wehmutstropfen gewesen wäre. Beim Verlassen der Klinik hatte mich mein Kollege noch gefragt, ob ich vor irgendetwas Angst hätte. Ganz entspannt hatte ich geantwortet, dass mich alles entspannt ließe, solange es keinen Schnee gäbe und der Wetterbericht war für Samstag (Rennbeginn) mit reichlich Sonne versehen. Also voll entspannt. Leider hatte ich nicht bedacht, dass es noch Tage vor dem Samstag geben würde und natürlich kam es genauso, wie ich es mir selbst prophezeit hatte. Gegen Mittag kam die Nachricht des Race-Direktors: „Streckenänderung, Grödel-Pflicht, Schnee in der Höhe!“ Warum nur, hatte ich das zu meinem Kollegen gesagt? An dieser Stelle muss ich dann doch ein Lob für den Race-Direktor loswerden. Die Strecken waren stets spannend, aber auch immer völlig sicher und jede Streckenänderung (es sollte 6 Änderungen bei 7 Etappen geben) war absolut sinnvoll.
Am ersten Tag kam es dann nur halb so wild wie befürchtet. Wir haben zwar ein wenig Schnee auf der Strecke gefunden, aber der Trail war stets absolut sicher und nur der Matsch machte uns zu schaffen. Tatsächlich aber nicht nur uns, denn auf dem letzten Drittel der Etappe musste ich tatsächlich mein ganzes medizinisches Wissen hervorkramen, als eine Mitläuferin aus einem anderen Team sich auf die Nase packte und bei einer Schnittwunde auf dem Nasenrücken eine kurze medizinische Versorgung benötigte. Trotz dieser kleinen Unterbrechung, einer immer noch orthopädisch angeschlagenen Sandra und dem Schnee schafften wir an diesem Tag sogar den Etappensieg und im Ziel erwarteten mich meine Jungs, was die Laune noch weiter bei mir ansteigen ließ. Leider ging es Sandra wirklich nicht gut. Also Physiotherapie, Schmerzmittel, Wärmflasche und eine Versorgung durch einen Arzt, der etwas davon verstand. Gott sei Dank ist mein Mann Unfallchirurg und Orthopäde und konnte hier tatsächlich medizinisch zur Seite stehen.
Der zweite Tag war überschattet von der neuen Startnummer, auf der nun nicht mehr unsere anonyme Nummer, sondern „Race-Leader“ prangte. Das übte nicht nur auf mich, sondern vor allem auf Sandra einen gehörigen Druck aus. Vor allem im Downhill strugglete sie stark. War sie doch nicht nur unsicher wegen ihres verklemmten Iliosakralgelenkes. Hinzu kam eine zunehmende Unsicherheit in Folge der MS, so dass sie nun bergab fürchten musste, permanent zu stürzen. Am schlimmsten war es, überhaupt nichts tun zu können. Ich fühlte mich fit wie nie, hätte gerne einen Teil ihrer Probleme einfach übernommen und die Last verteilt, aber ich war völlig hilflos. Besorgt musste ich von hinten mit ansehen, wie jeder Schritt zur Risiko-Abwägung und Sturz-Vermeidung wurde. Hinzu kamen sicher furchtbare Schmerzen und ich konnte nur zusehen. Es war niederschmetternd. Überraschenderweise wurden wir dennoch dritte auf dieser zehrenden Etappe. Doch diese sollte nur ein kleiner Vorgeschmack für die anspruchsvolle Etappe am nächsten Tag werden.
Die Königsetappe erfüllte wirklich alle Erwartungen und sie wäre sicher gigantisch gewesen, wenn es Sandra nur gut gegangen wäre. Zunächst ging es lange bergauf, dann eine malerische Querung in hochalpinem Gelände, bei der wir sogar Helme tragen mussten. Überraschend leichtfüssig ging es zunächst voran und meine Hoffnung stieg, dass Sandra sich über Nacht erholt hätte und die Probleme der letzten Tage verflogen seien. Im Nachhinein gab sie zu, dass sie sich wahnsinnig zusammengerissen hat, weil es mein Geburtstag war und sie mir eine Freude machen wollte. Ich möchte gar nicht wissen, was sie erdulden musste, während ich mich nur freute und Juhu schreien wollte und ihre Probleme gar nicht bemerkte oder ignorierte? Natürlich konnte das nicht ewig gut gehen und letztlich war das Hochgefühl im Downhill dann auch endgültig verflogen.
Die Realität der Verletzung und der eingeschränkten Mobilität holte uns ein und die schnellen Kilometer waren vorbei. Die 49 km mit den 3.314 HM wurden zur Qual und wir schleppten uns ins schweizerische Klosters mit der Gewissheit am Folgetag bei der Bergetappe langsam machen zu müssen. Doch im Ziel wartete noch eine Überraschung auf mich. Sandra hatte über ihre Familie, die überraschend am Vortag zum Support angereist war, organisiert, dass ich im Ziel mit einem Geburtstagsgeschenk und einem Song von Coldplay empfangen wurde. Vor Rührung muss ich wohl ein paar Tränchen auf dem Sportplatz verloren haben.
Letztendlich kommt dann aber alles anders...
Überraschenderweise wurde für den Bergsprint die Verpflichtung aufgehoben, nicht weiter als 2 Minuten zwischen Team-Mitgliedern zu haben. Ich spürte die Gelegenheit, etwas für unser Team machen zu können, indem ich wenigstens bei der Bergetappe punktete. Konnte ich Sandra schon nicht medizinisch helfen, dann vielleicht wenigstens durch meine Bergziegen-Fähigkeiten? Motiviert bereitete ich mich auf den vertikalen Kilometer vor. Obwohl leichter Regen für später am Tag gemeldet war, konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich das zusätzliche Gewicht einer Regenjacke wirklich auf mich nehmen wollte. Genau zum Start wurde mir aber die Entscheidung leicht gemacht und der einsetzende Nieselregen hat mich am Ende vermutlich vor einer schweren Hypothermie bewahrt. Auch Sandra hatte angesichts der harten Wetterbedingungen keine Wahl. Erfrieren oder so schnell wie möglich den Berg hoch. Beide sollten wir an diesem Tag eine extrem gute Leistung erbringen und wir ergatterten eine weitere Etappe. Im Gesamt-Klassement allerdings waren wir abgeschlagen und das fühlte sich auch tatsächlich in dem Moment ganz gut an. Noch am Abend kam die Nachricht, die wir bereits sehr gut kannten: Streckenänderung. Wegen Kälte und starkem Wind mit Schnee in der Höhe wurde die nächste Etappe halbiert, so dass wir das erste Stück mit dem Zug zurücklegen sollten.
Ein fliegender Start im strömenden Regen brachte uns am Folgetag auf die Strecke. Zu starten, wann man selbst möchte, ist furchtbar entspannend. Man kann noch mal in Ruhe im Wald verschwinden, alle Sachen richten und dann perfekt vorbereitet über die Startlinie rollen. Die Strecke war deutlich flacher und sollte sich nicht über die Baumgrenze hinaus bewegen. Also keine technischen Abschnitte, keine enorme Höhe, nur schöne Trails, wie wir sie massenhaft aus unserer schönen fränkischen Schweiz kennen. Trotzdem war ich nicht darauf vorbereitet mit welchem Ehrgeiz Sandra auf einmal davon zog. Ein Tempo, wie ich es vermutlich bei einem Straßen-Halbmarathon vorlegen würde, wurde angeschlagen und wir sprinteten förmlich über die Trails. Ein veganer Erdbeerkuchen, von dem ich noch viel auf den nächsten Etappen von Sandra hören sollte, wurde links liegen gelassen und in kürzester Zeit überquerten wir die Ziellinie in Zernez. Etappensieg! Ganz so weit abgeschlagen waren wir nun nicht mehr und Sandra, die mir gegenüber immer wieder betonte, dass sie es nur schaffen wolle und hier keinen Ehrgeiz habe, gab zu, dass sie diese Etappe bewusst taktisch so schnell geplant hatte, um im Gesamt-Klassement aufzuholen? Also kein Ehrgeiz?
Auf den nächsten zwei Etappen lagen massive Anstiege vor uns, die mit 1200 HM am ersten Tag und 1800 HM am zweiten Tag schon sehr einschüchternd wirkten. Gepaart mit schwierigen Downhills und technischem Gelände also eher nicht so unser Teetässchen. Stets wurden wir auf den Downhills von dem kanadischen Salomon-Team stehen gelassen, dich mich mit ihrer Freundlichkeit und ihrer Fähigkeit die Trails runter zu fliegen einfach nur beeindruckten. Man konnte sie noch nicht mal hassen, weil sie einfach so nett waren. Stets waren wir die ersten am höchsten Punkt, nur um dann zwei fliegenden Kanadiern von hinten kurz zuschauen zu können, bis diese in der nächsten Biegung verschwanden. Vor allem nach dem wahnsinnigen Anstieg von 1800 Hm am Stück und einem Anruf von meinem Mann, dass wir die 5 Minuten Rückstand im Aufstieg wettgemacht hätten, war kurzfristig die Hoffnung groß, nur um dem aufgewirbelten Schlamm der Kanadierinnen wieder von hinten zuschauen zu dürfen. Naja, vielleicht war es ja auch gut so. Dann konnten wir wenigstens die letzten Kilometer genießen und mussten uns nicht so schinden?
Mit Ende des technischen Downhills wurden die Wege breiter und verwandelten sich in Forststrassen. Endlich konnten wir wieder laufen, wie wir es gewohnt waren. Sandra schien es besser zu gehen. Sie versicherte mir auch auf mehrfaches Nachfragen, dass sie gut laufen könne und das Tempo so mitgehen konnte. Ich bekam ein Hochgefühl. Ein uns überholendes Team drückte uns ihr Beileid aus, weil sie uns gerne hätten gewinnen sehen. Glücklich und entspannt bewegten wir uns in Richtung Reschensee. Keine 10 km vom Ziel entfernt kam ein Zweierteam in Sicht. Ich sagte zu Sandra, das müsste das Damenteam aus der jüngeren Kategorie sein. Beim Näherkommen allerdings wurde klar, es waren die Kanadierinnen. Obgleich sie unglaublich starke technische Läuferinnen waren, lag ihnen das echte Rennen nicht so sehr. Sandra witterte Siegesluft und beschleunigte das Tempo. Ich versuchte, sie zu bremsen. Niemals konnten wir 5 Minuten auf 10 km rauslaufen. Selbst wenn die Kanadierinnen keine guten Läuferinnen waren (und das waren sie ja aber), hätten wir unter 5 Minuten auf den Kilometer laufen müssen, um im flachen Gelände (der Downhill war vorbei) genug Zeit gut zu machen. Aber Sandra hörte nicht und beschleunigte weiter. Also gut, sagte ich mir, dann eben mit der Brechstange. Wir sind am Ende nahezu alle Kilometer unter 5 Minuten gelaufen und liefen als klare Etappensieger in Reschen ein. Wir fielen uns in die Arme, unglaublich stolz, es geschafft zu haben. Der Ausgang des Rennens war mir in dem Moment egal. Wir hatte alles gegeben und das ist für mich immer das Wichtigste.
Wir waren beide fix und fertig. Insgesamt haben wir dem nächsten Team 10 Minuten auf der Etappe abgenommen und konnten unsere Kategorie gewinnen, aber am Ende bleibt für mich dieser 10 km lange Zielsprint, der weh tat, mich an meine Grenze brachte und einfach nur geil war. Natürlich habe ich mich auch über das Ergebnis gefreut, aber nicht so sehr, wie über diese letzten 10 km.